Auswendiglernen mithilfe eines Gedächtnispalasts

In der BBC TV-Serie „Sherlock“ [2010-2017] begibt sich eine der Hauptfiguren, Sherlock Holmes, mehrfach in seinen Gedächtnispalast, um Informationen abzurufen, die er dort zuvor gespeichert hatte. In der Fiktion lassen sich Grenzen des Möglichen kreativ ausweiten, dies ändert aber nichts daran, dass der Gedächtnispalast auch beim Auswendiglernen großer Mengen von Informationen eine Hilfe sein kann. 

Basis: Eselsbrücken

Fangen wir klein an. In der Schule werden beim Thema Auswendiglernen gerne Eselsbrücken vorgestellt und verwendet. Gucken wir uns ein Beispiel an, was ich in meinem Spanischkurs gerne gebe. Beim Lernen der Zahlen von 0 bis 10 haben einige Leute Probleme damit, sich die Reihenfolge von seis und siete zu merken. D.h. sie verwechseln immer wieder welches der beiden Worte die Übersetzung von sechs und welches die Übersetzung von sieben ist. Etwas Ähnliches passiert in meinen Portugiesischkursen mit den Worten seis und sete. Hier kommt nun die Eselsbrücke, die vielleicht mit diesem Problem helfen kann: 

Das Wort seis beinhaltet ein extra -s-, während siete (Spanisch) bzw. sete (Portugiesisch), ein -t- beinhaltet. Im Alphabet kommt -s- vor -t-, genauso wie bei den Zahlen 6 vor 7 kommt > seis ist das Wort für 6 und siete(Spanisch) bzw. sete (Portugiesisch) ist das Wort für 7. 

Nun muss man sich noch merken, dass diese Eselsbrücke über das Alphabet dabei unterstützen soll, sich die Reihenfolge von seis und siete/sete richtig zu merken. Ob eine Eselsbrücke funktioniert, hängt auch damit zusammen, ob die Brücke für einen persönlich einprägend genug ist. Mir selbst wurden etliche Eselsbrücken genannt, die ich mir noch schlechter merken konnte als die Information, die ich mir damit hätte merken sollen. Erinnert ihr euch an den Spruch „Nicht ohne Seife waschen“? Dieser Merkspruch soll eine Eselsbrücke dafür sein, sich die Reihenfolge der Himmelsrichtungen (Norden, Osten, Süden, Westen) zu merken. Über Jahre habe ich mir zuerst die Himmelsrichtungen ins Gedächtnis gerufen, um darauf basierend den Merkspruch zusammenbauen zu können, damit ich diesen dann aufsagen konnte. 

Einzelne Eselsbrücken funktionieren besonders gut, um sich kleinere Mengen an Informationen zu merken. Nun gibt es aber auch den Fall, dass man sich mehr merken muss. Gehen wir nun zu Gedächtniswegen. 

Gedächtniswege: Aneinanderreihen von Informationen und Eselsbrücken

In einem Kurs zur portugiesischen Literaturwissenschaft bekam ich die ehrenvolle Aufgabe, mir die portugiesischen Fachbegriffe für mehrsilbige Verse zu merken, sowas wie „dreisilbiger Vers“, „viersilbiger Vers“, etc. Hier ist beispielhaft eine Liste, wie dies aussehen kann (vgl. Zepp 2014):

Anzahl gezählter SilbenPortugiesischer Begriff / Versart
1Verso monossílabo
2Verso dissílabo
3Verso trissílabo
4Verso tetrassílabo
5Verso pentassílabo / Redondilha menor
6Verso hexassílabo
7Verso heptassílabo / Redondilha maior 
8Verso octossílabo
9Verso eneassílabo
10Verso decassílabo
11Verso hendecassílabo
12Verso dodecassílabo / verso alexandrino
13Verso alexandrino de 13 sílabas
14Verso bieptassílabo

Die Präfixe (mono-, di-, tri-, etc.) stammen jeweils aus dem Altgriechischen. Nun war also die Aufgabe, vierzehn verschiedene Begriffe in einer bestimmten Reihenfolge abzuspeichern. Die richtige Reihenfolge würde dabei helfen, die Wörter später mit den richtigen Zahlen zu verbinden. Um mir diese Informationen merken zu können, habe ich mir für jedes Wort eine Merkhilfe überlegt, die mich an das Wort, was ich mir merken wollte, erinnerte und dieses mit dem verbunden hat, mit dem ich das Wort in Verbindung brauchte. Bei dem Wort hexassílabo könnte man sich zum Beispiel eine Hexe vorstellen, die mit Martín Demichelis, einem argentinischen Fußballspieler, der die Rückennummer 6 getragen hat, spricht. So könnte die Merkhilfe dabei helfen, hex(a)- mit der Zahl 6 zu verbinden. So kann man sich für jede der Informationen, die man sich merken möchte, eine Merkhilfe überlegen. Wichtig ist hier, sich Merkhilfen zu überlegen, die gut im Gedächtnis bleiben. Häufig hilft es, Aktionen und Personen/Figuren miteinander zu verbinden. 

Im nächsten Schritt geht es nun darum, die Informationen aneinander zu reihen. Dies ist für verschiedene Kontexte sinnvoll. Gucken wir uns einmal den Fall an, dass die Reihenfolge der Informationen wichtig ist. Um nun weiterzumachen, überlegt man sich, wie viele Informationen in der Reihenfolge gespeichert werden sollen und überlegt sich einen Weg, den man sich gut vorstellen kann, der so viele Stationen hat, wie Informationen gespeichert werden sollen. Als ich die Fachbegriffe für die mehrsilbigen Verse für meinen Unikurs lernen sollte, habe ich mir hierfür beispielsweise meinen Weg von meiner Wohnung zur Uni vorgestellt und mir zwölf Stationen überlegt. Die erste Station war an meiner Haustür. Die zweite Station an der Kreuzung, wo ich abbiegen muss, die nächste Station war am Bahnhof, wo ich in die Bahn einsteigen muss, usw. An diesen Stationen habe ich nun meine Merkhilfen abgestellt. An der sechsten Station standen nun also beispielsweise eine Hexe und Martín Demichelis und diskutierten. Nun ist es wichtig, den Weg im Gedanken abzulaufen und sich bei jeder Station die Merkhilfe ins Gedächtnis zu rufen. Der Weg, den man hierfür abläuft, kann ein Weg sein, den es in der Realität wirklich gibt, es kann aber auch ein Weg sein, den man sich ausgedacht hat. Wichtig ist hier nur, dass man sich den Weg gut vorstellen kann und die Stationen markant genug sind, dass sie voneinander unterscheidbar sind. 

Es gibt auch Fälle, in denen die Reihenfolge der Informationen irrelevant ist. Hier ist vielleicht nur relevant, dass alle Informationen vorhanden sind und diese als Themenbereich zusammenbleiben. So kann es sinnvoll sein, einen Gedächtnisweg auch dann zu verwenden, wenn es darum geht, die verschiedenen Merkhilfen beisammenzuhalten. Gucken wir uns dafür einmal die Begriffe für verschiedene Nebensätze an: 

  • oraciones sustantivas (Substantivsätze),
  • oraciones de relativos (Relativsätze),
  • oraciones causales (Kausalsätze),
  • oraciones consecutivas (Konsekutivsätze),
  • oraciones finales (Finalsätze),
  • oraciones modales (Modalsätze),
  • oraciones temporales (Temporalsätze),
  • oraciones consecutivas (Konsekutivsätze),
  • oraciones condicionales (Konditionalsätze)

(vgl. Millares & Centellas 2011, Gómez Torrego 2011).

Diese Einteilungen von Nebensätzen kann dabei helfen, Satzkonnektoren – also Verbindungswörter oder -ausdrücke, die Haupt- mit Nebensätzen miteinander verbinden – auswendig zu lernen. Einerseits lässt sich mit der Gruppierung dieser Konnektoren die Funktion dieser einfacher lernen, andererseits lässt sich damit auch einfacher merken, mit welchen Konnektoren und Funktionen dieser der Subjuntivo verwendet wird. Der Subjuntivo ist eine Art spanischer Konjunktiv. Dieser wird in anderen Kontexten verwendet als der deutsche Konjunktiv, weshalb es für Sprecher*innen des Deutschen kompliziert sein kann, den Subjuntivo an den richtigen Stellen einzusetzen. Auf einem Gedächtnisweg kann man so eine Nebensatzart mit dessen Funktion und den dazugehörigen Konnektoren verbinden. Gleichzeitig können Beispielsätze dazu gespeichert werden, aus denen erkennbar ist, ob der Subjuntivo verwendet wird. Um die Konnektoren oder Beispielsätze verschiedener Satzarten nicht miteinander zu vertauschen, kann man beispielsweise für jede Satzart einen eigenen Gedächtnisweg anlegen.

Viele Gedächtniswege führen zum Gedächtnispalast

Das vorherige Beispiel mit den Nebensätzen zeigt, dass es Fälle gibt, wo mehrere Gedächtniswege notwendig werden. Wenn dies der Fall ist, kann es sinnvoll sein, diese Wege strukturierter anzugehen. Hierfür kann man sich beispielsweise ein Gebäude oder einen Park, eine Stadt oder ein Stadion vorstellen. Es geht darum, dass der Ort genügend Platz für die Anzahl an Gedächtniswegen hat, die man benötigt. Beim Auswendiglernen der Nebensatzarten und der spanischen Konnektoren habe ich mir als Gedächtnisweg pro Nebensatzart beispielsweise einen Seminarraum in meinem Unigebäude in zwei Stockwerken, in denen ich Spanischkurse hatte, vorgestellt. In dem Seminarraum habe ich mir dann wieder jeweils einen Weg mit mehreren Stationen vorgestellt, z.B. die Tür, die Tafel, das Fenster. Hier habe ich darauf geachtet, mir Räume vorzustellen, die unterschiedlich genug sind, dass ich die Inhalte der Räume nicht miteinander vertauschen konnte. Je nachdem, wie viele Informationen organisiert werden sollen, braucht man also mehr oder weniger Räume/Gänge/Stockwerke. 

Ein anderes Stockwerk desselben Gebäudes habe ich damals beispielsweise dafür verwendet, verschiedene Epochen der portugiesischen Literatur und die dazugehörigen Jahreszahlen auswendig zu lernen. Um die Inhalte verschiedener Themen voneinander zu trennen, kann es helfen, Figuren bzw. Personen, die man mit dem Thema verbindet, in den Weg einzubauen. So könnte beispielsweise die Spanischlehrerin oder eine Freundin aus dem Spanischkurs an der Tür zu dem Stockwerk warten, in dem Inhalte zur spanischen Grammatik gespeichert sind.

Praktische Tipps zur Instandhaltung des Palasts

Nun haben wir uns angesehen, wie man sich seinen eigenen Gedächtnispalast aufbauen kann. Nun geht es darum, diesen langfristig nutzbar zu machen. Hierfür ist Wiederholung wichtig, d.h. die verschiedenen Wege in der Vorstellung abzugehen und die Informationen abzurufen. Wenn es einem schwierig fällt, Informationen abzurufen, ist dies ein Zeichen, den Weg öfter zu üben. Vielleicht muss man auch erst mit einem kleineren Abschnitt des Weges anfangen. Beim Erstellen der Eselsbrücken und der Gedächtniswege kann es sinnvoll sein, diese wie eine kleine Geschichte aufzuschreiben. Man könnte sich die Wege, die man abläuft, auch aufmalen, wenn man möchte. So kann man sich die Eselsbrücken und die Gedächtniswege auch zurück in die Erinnerung rufen, wenn man diese zwischenzeitlich doch mal vergessen hat. Wenn ihr euch einen Weg überlegt habt, den ihr in der Realität tatsächlich ablaufen könnt, ohne in Probleme zu kommen, könntet ihr dies tun und euch an der jeweiligen Station eure Eselsbrücke vor Augen führen. Ihr könnt euch aber auch an einen ruhigen Ort setzen und euch den Weg vorstellen und in eurer Vorstellung ablaufen. Mir persönlich hat es dabei geholfen, wie bei Meditation an einem ruhigen Ort zu sein, die Augen zu schließen und mir vorzustellen, an dem Ort zu sein, wo der Gedächtnisweg, den ich ablaufen wollte, losging. 

Detailarbeit und Reparaturmaßnahmen im Gedächtnispalast

Beim Ablaufen der Wege kann es passieren, dass ihr merkt, dass bestimmte Merkhilfen nicht funktionieren. Vielleicht könnt ihr euch einzelne Informationen einfach nicht merken. Hier kann es sinnvoll sein, die Merkhilfe auszuwechseln. Vielleicht gibt es eine andere Eselsbrücke, die euch besser unterstützt. Es kann auch sein, dass ihr Informationen in kleinere Stücke aufteilen müsst. Vielleicht braucht ihr dafür auch mehr Stationen auf einem Gedächtnisweg. 

Auswahl von Lernmethoden

Für welche Informationen, die ihr auswendig lernen wollt, ihr euch den Aufwand macht, dafür Platz in eurem Gedächtnispalast zu verwenden, müsst ihr selbst entscheiden. Lernen von Alltagsvokabeln im Spanischen und Portugiesischen (z.B. zum Schulalltag und Familienleben) hat für mich beispielsweise dadurch funktioniert, neben Sprachkursen Serien und Filme zu sehen, in denen die Wörter, die ich lernen wollte, regelmäßig vorkamen. Begriffe für bestimmte Tierarten im Englischen und Portugiesischen habe ich dadurch geübt, dass ich mit Freund*innen ständig über diese Tiere gesprochen habe. Ich sag es mal so: Es gab viele Gespräche über Möwen und Tauben. Den Gedächtnispalast habe ich denn für die Themenblöcke verwendet, deren Informationen ich schlecht über andere Wege üben konnte. An dieser Stelle könnt ihr abwägen, wie effektiv und aufwendig eine Lernmethode ist und welche zu der Art und Masse an Informationen, die ihr lernen wollt, passt.  

Weitere Informationen finden

Für den Fall, dass du nun Interesse an diesen Lernmethoden gefunden hast, möchte ich dir noch ein paar Schlüsselwörter mitgeben. Die Methoden der Eselsbrücke und des Gedächtniswegs lassen sich unter den Begriffen Loci-Methode und Routenmethode recherchieren. Hierbei geht es im Prinzip darum, Informationen an einem Ort bzw. auf einer Route abzulegen. Diese Methoden, inklusive Gedächtnispalast (engl. Mind Palace), gehören zu den Mnemotechniken. Unter diesen Begriffen lässt sich zu diesem Thema weiterrecherchieren. 

Hier ist ein Beispiel für einen Artikel, in dem die Methode bebildert mit mehr Beispielen auf Englisch durchgegangen wird: 

Lesehinweis:

Art of Memory (2023): “Learn How to Use Sherlock’s Mind Palace Technique”, Art of Memory Blog. Aktualisierter Artikel. https://artofmemory.com/blog/mind-palace/ (zuletzt aufgerufen: 19.08.2023).

Falls euch die Themen interessieren, die ich nebenbei in diesem Artikel erwähnt habe, habe ich hier nochmal Lehrbücher zur portugiesischsprachigen Literaturwissenschaft und spanischen Grammatik angegeben, die mehr Infos zu den Themen geben, die hier als Informationen zum Auswendiglernen angegeben wurden. Zusätzlich gibt es noch Informationen über die erwähnte TV-Serie Sherlock.

Einsatz eines Gedächtnispalasts in den Medien – TV-Serie Sherlock:

Moffat, Steven & Gatiss, Mark (Produktion). (2010-2017) Sherlock [Fernsehserie]. BBC: Hartswood Films. Staffel 2 Folge 2, Staffel 3 Folge 1-3.  

Einführung portugiesischsprachiger Literaturwissenschaft:

Zepp, Susanne (2014): Portugiesisch-Brasilianische Literaturwissenschaft – Eine Einführung. Wilhelm Fink Verlag: Paderborn. 48-169.

Nebensätze, Konnektoren und der Subjuntivo im Spanischen:

Millares, Selena & Centellas, Aurora (2011): Método de Español para extranjeros – nivel intermedio. Zweite aktualisierte Ausgabe. Madrid: Editorial Edinumen. 113-155.

Gómez Torrego, Leonardo. (2011): Análisis sintáctico – teoría y práctica. Dritte aktualisierte Ausgabe. Madrid: Ediciones SM. 196-251.